Montag, 4. Mai 2009

SPRIZZ BITTER

Erzählung von Ernst Wünsch
Erscheint voraussichtlich Sommer 2009 im Verlag Sisyphos.

EXPOSE

Smut ist ein arbeitsloser Mittfünfziger, der einen Job sucht.
Kaum verlor er seine Stelle als Teilzeit-Bürokraft, verließ ihn auch noch seine Frau. Mit seiner halbwüchsigen Tochter pflegt er sporadischen Kontakt.
Er ist Hobbylyriker und kann halbwegs gut kochen.
Der 93jährige Korg war in den 1960ern als Aktionist und Theatererneuerer aktiv, lebt mit seinem Terrier Castor in der Casa Rosa, einem ehemaligen Fiakerhof in der Wiener Vorstadt. Da er etwas gebrechlich ist, sucht er Unterstützung im Haushalt und einen Hundebetreuer. Sein Jobangebot, auf das schwarze Brett eines Supermarkts affichiert, lautet: „Heizer gesucht“.
Beide sind, unabhängig voneinander, gesellschaftliche Randerscheinungen, fallen gelassene, überflüssig gewordene Verlierertypen, für die sich niemand interessiert, die keiner braucht. Smut, weil er es zu nichts gebracht hat in seinem Leben und als „50 plus“ am Arbeitsmarkt keine Chance hat, und der verkannte Künstler Korg, weil er als unbequemer Avantgardist seinerzeit zwar für Skandale gesorgt hat, aber alles andere als ein Verkaufsschlager gewesen war.
Während Smut unter seinem Außenseitertum leidet, erachtet Korg diese Ausgrenzung als Privileg. Er hat immer nur Kunst gegen das gerade aktuelle Gesellschaftssystem gemacht und findet es pervers, von denen gelobt und hofiert zu werden, die er verachtet, darunter namhafte Kunstexperten und Kulturmanager. Von der Öffentlichkeit quasi geächtet, lebt Korg sein isoliertes Leben, unbeirrt von der permanenten Ausgrenzung und der öffentlichen Ablehnung irgendwie zum Trotz, sucht aber schlussendlich jemanden, dem er sich mitteilen kann, einen Zuhörer gegen Bezahlung sozusagen, der seine philosophischen Tiraden auch noch protokolliert und seinen Beitrag zur Theatererneuerung für die Nachwelt konserviert. Warum nicht einen „Heizer“?
Smut, der sich vor Hunden eher fürchtet, bekommt den Job, weil ihn Castor sofort in sein Terrierherz schließt, und weil er die Zubereitung von Korgs Lieblingsgetränk „Sprizz bitter“ beherrscht.
Von November bis Jänner profiliert sich Smut als Haushaltsmanager, Hundesitter und Privatsekretär, protokolliert nicht nur, was Korg ihm erzählt, sondern lässt sich auch faszinieren von dieser beinahe 100jährigen Lebensgeschichte. Korg ist ein gewitzter Erzähler und überrascht auch mit philosophischen Exkursen. Der Sprizz bitter fließt dabei in Strömen.
Meilensteine der Korg-Vita sind einerseits sein Überleben der NS-Zeit als U-Boot in den Bergen zwischen Bad Ischl und dem Attersee, andererseits sein „k & w – actionistisches Kasperltheater“, das er gemeinsam mit seinem angeblichen Mentor O. U. Wysznarsz (der in dieser Erzählung eine ebenso tragende wie geheimnisvolle Rolle spielt) in den 1960ern auf die Beine gestellt hatte. Insbesondere das Stück „Verdauungstrilogie“, den Magen eines sterbenden Alkoholikers darstellend, soll seinerzeit für Negativschlagzeilen und polizeiliche Interventionen gesorgt haben.
In „Sprizz bitter“ kommen aber auch Liebe und Sex nicht zu kurz. Korg unterhält ein erotisches Verhältnis zu einer in die Jahre gekommenen „Exkellertheaterdiva“, die ihn als Theaterguru verehrt, regelmäßig die Fenster der Casa Rosa putzt und sich dem „Altmeister“ im Bedarfsfall hingibt. Smut lernt im Zuge seiner Dogsittings die Theaterwissenschaftsstudentin My kennen, die ebenfalls einen Hund betreut, der nicht ihr gehört, und verliebt sich in sie, während sie eher an Korg interessiert ist. Das Thema ihrer Abschlussarbeit lautet „experimentelles Theater der 1960er- und 70er-Jahre in Österreich“. Zudem verliebt sie sich in Korgs Muse Zoe, die „Exkellertheaterdiva“. Die beiden gründen sogar eine WG in Smuts Wohnung, nachdem dieser zu Korg und Castor in den Fiakerhof übersiedelt ist.
Das „Theater im Achterloch“, Zoes letzter Auftrittsort als Actrice, lädt Korg zu einem Remake der „Verdauungstrilogie“ unter dem Motto „verworfene Avantgarde“ ein. Zu viert wird die „actionistische Kasperltheaterbühne“ wieder auf Vordermann gebracht, organisiert und geprobt. Die Einladung entpuppt sich jedoch als Flop. Der Manager des „Achterlochs“ hat sich mit sämtlichen Fördergeldern bald aus dem Staub gemacht. Aber Korg lässt nicht locker. Das Event findet stattdessen in der Casa Rosa statt und wird nicht nur regional ein großer Erfolg. Auch internationale Kulturzentren bekunden ihr Interesse an dieser Art Aktionismus-Nostalgie. Korg wird geehrt, erhält Subventionen, sieht sich am Ziel seines Lebens und will endlich sterben. Sein Tod – ein künstlerisches Ereignis, das er im Rahmen einer überaus stimmungsvollen Weihnachtsfeier pathetisch ankündigt. Leider misslingt das Vorhaben und muss zu einem späteren Zeitpunkt wiederholt werden. Ebenfalls erfolglos. Der Anzahl der korgschen Versuche, aus dem Leben zu scheiden, sind in dieser Geschichte keine Grenzen gesetzt.
Tatsache ist, dass My ihre Abschlussarbeit über Korg und dessen „actionistisches Kasperltheater“ vollendet, Smut von Korg adoptiert wird und die Casa Rosa in ein internationales Zentrum zur Pflege des „Aktionismus im 20. Jahrhundert“ umgewidmet und finanziell unterstützt wird. Smut verwaltet die nunmehrige Stiftung, in die neben dem Terrier Castor natürlich auch Zoe und My eingebunden sind. Von Korg, der Jahr für Jahr spektakuläre Sterbeversuche ankündigt (ohne sie zu Ende zu bringen) und von Smut weiterhin mit seinem geliebten Sprizz bitter versorgt wird, wenn ihm danach ist, ganz zu schweigen.
Die „Verdauungstrilogie“ wird fortan alljährlich kurz vor Weihnachten im Fiakerhof der Casa Rosa zur Aufführung gebracht, ganz ähnlich dem Salzburger „Jedermann“ zur Festspielzeit.

Sowas gefällt dem Commodore!

1 Kommentar:

Lizard hat gesagt…

Dass das dann auch noch ein Genuss, das sage ich.
Das muss!
DAS Muss!